Hamburger Abendblatt Juli 2002 |
Hamburger Abendblatt vom 6./7. Juli 2002 Kindesmissbrauch Eine junge Frau, die selbst schreckliche Erfahrungen gemacht hat, kämpft für die uneingeschränkte Umsetzung der Rechte unserer Kinder. von Peggy Wolf
[...] die 32-jährige Publizistin [...] will, parteilos, für den Bundestag kandidieren. Ihr Ansinnen: Die Umsetzung der uneingeschränkten Einhaltung der Rechte unserer Kinder. Seit Jahren schon engagiert sich die kurz vor dem Studienabschluss stehende Politologin und Psychologin gegen Kindesmissbrauch. Sie war selbst Opfer sexueller Gewalt im Kleinkindesalter, weiß also, wovon sie spricht. Ihre schrecklichen Erlebnisse hat Olga Masur in ihrem vor vier Jahren erschienenen Buch, "Ich wollt ich wär die Letzte" beschrieben. Es vermittelt Emotionen und Erinnerungen, geschickt angereichert mit statistischem Zahlenmaterial [und] Auszügen aus Forschungsberichten."Ich bin kein Einzelfall", sagt Olga Masur, "sexuelle Gewalt an Kindern gibt es überall, Mädchen, wie Jungen sind davon betroffen. erklärt Olga Masur. Und die Täter sind oft die engsten Vertrauten." [...] Die heilen Familie also ein Trugbild? "Kann man so sagen", resümiert Olga Masur ihre Erfahrungen. Natürlich ist das nicht in jeder Familie so; Tatsache aber bleibt, dass Gewalterfahrungen, von Generation zu Generation weitergegeben werden. [...] Den meisten Tätern fehlt nämlich das Unrechtsbewusstsein. Und leider ist es oft so, dass sich der jeweilige Partner nicht massiv gegen den Täter wehrt, sondern den Missbrauch akzeptiert. Damit kann man weder den Kindern solcher Familien helfen, geschweige denn die Täter fassen. "Man muss über das Thema reden, laut und deutlich." Sagt Olga Masur. "Alle, die schweigen, machen sich mitschuldig." Das Schlimme am Missbrauch, ist nicht die sexuelle Gewalt allein, sondern auch der Vertrauensverlust für die Kinder. Gingen sie doch davon aus, von ihren Müttern, Vätern, Verwandten geliebt zu werden. Dass sie auf so schreckliche Weise betrogen wurden, wird zum Trauma, an das sich 40 Prozent der Betroffenen später nicht klar erinnern kann oder will. Von manchen werden diese Erinnerungen über Jahre hin als verschwommene Ahnungen wahrgenommen. Nur wenige wollen ihnen mittels psychologischer Hilfe auf die Spur kommen. Die Folgen sexuellen Missbrauchs sind seit über 100 Jahren bekannt. Oftmals sind es tiefgreifende emotionale Störungen, von der Psychologie als posttraumatisches Belastungssyndrom bezeichnet. Dazu gehören Angstattacken, plötzlich auftretende Wutausbrüche, Allergien oder Essstörungen. Und letztendlich auch ernsthafte Suizidabsichten, die zwingend in die Tat oder schleichend durch die Flucht in Drogen umgesetzt werden. Hilfe erfahren nur Kinder, die sich frühzeitig aus ihren Familien befreien können. Dazu bedarf es der Unterstützung von außen: von Erziehern, Lehrern, anderen Verwandtschaften. Für eine Heilung spielen viele Faktoren eine Rolle. Das zerstörte Selbstwertgefühl muss wieder hergestellt werden, die Betroffenen müssen lernen, wieder zu vertrauen, ihr Leben neu zu gestalten, es muss ihnen geglaubt und sie müssen mitmenschlich als auch staatlich unterstützt werden. Obwohl alle großen Parteien Frauen- und Familienprogramme haben, ist Gewalt gegen Kinder nach Meinung von Olga Masur immer noch ein Tabu-Thema der Gesellschaft. "Ich will dazu beitragen, eine der letzten gewesen zu sein, die darunter zu leiden hatte." www.abendblatt.de
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